Aktuelles aus der NABU-Gruppe Brüggen

Eine Kiebitz-Brutsaison in der Landwirtschaft

Bemühungen zum Schutz in der Landwirtschaft sind zeitintensiv und nicht ausreichend

Foto: NABU Willich Gaby & Jorgen Pedersen

Foto: NABU Willich Gaby & Jorgen Pedersen

Foto: NABU Willich Gaby & Jorgen Pedersen

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Foto: NABU Willich Gaby & Jorgen Pedersen

Foto: NABU Willich Gaby & Jorgen Pedersen

Willich im Juli 2023

Im letzten Jahr hatten wir über die Beobachtung von 3 Kiebitz-Paaren auf einer intensiv genutzten Landwirtschaftsfläche in Willich berichtet. Leider wurde nur ein Jungvogel flügge. Deshalb haben wir uns für dieses Jahr vorgenommen, mehr über die Problematik herauszufinden, um aktiveren Kiebitz-Schutz betreiben zu können.

Im März und April besuchten wir alle ehemaligen Brutgebiete in Willich und gingen allen Kiebitz-Meldungen nach. Es stellte sich heraus, dass es nur noch eine einzige Brut-Kolonie geben würde, dafür aber eine große!

Eine fast tägliche Beobachtung der Kolonie erfolgte ab Mitte März. Sie war nur mit Spektiv möglich, da die Entfernungen groß waren. Anfang April bis Ende Mai markierten wir 10 Nester und schlossen unsere Beobachtungen Mitte Juni ab, nachdem alle Kiebitze abgewandert waren. In Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden und besonders mit den bewirtschaftenden Landwirten sorgten wir für den Schutz der Gelege wie auch der Küken während der Bearbeitung der Ackerflächen.

Nasses Frühjahr

Die Landwirte begannen durch den nassen Frühling verspätet mit Hochdruck die Bearbeitung: kurzfristig angekündigt fanden teilweise mehrere Bearbeitungsgänge parallel auf den großen Flächen statt – sogar bis in die Dunkelheit – und wir spurteten zu zweit von einem Gelege zum nächsten. Eine Herausforderung für uns aber noch eine größere für die Kiebitze! Trotz stundenlanger Bearbeitungen wie Pflügen, Eggen und Kartoffelsetzen um ihre Nester herum ließen sie sich vom weiteren Bebrüten der inzwischen 6 Nester nicht abhalten!

Der Kartoffeln anbauende Landwirt ließ jeweils schmale Inseln um die markierten Gelege bei den verschiedenen Bearbeitungsschritten aus. Wir sorgten dabei auf diesen Inseln stehend für die Sicherheit der Nester. So konnte der Landwirt fließend und nur mit geringen Flächenverlusten sein Kartoffelfeld bestellen.

Küken schlüpfen

Die ersten Küken schlüpften Ende April. Die Weibchen führten sie auf einen angrenzenden Acker mit Gründüngung, welcher Nahrung und Schutz versprach. Doch dann sollte die Fläche gemulcht werden. Nach Rücksprache ließ der Landwirt zum Schutz der Küken ein Dreieck der Gründüngung stehen, welches später eingesät werden konnte. Dieses Dreieck diente allen Küken als großartiger Unterschlupf, da alle Ackerflächen inzwischen ohne Pflanzenbewuchs waren. Wir nannten es „Kindergarten“.

Die Brutzeit erstreckte sich von Anfang April bis Anfang Juni. Zum Ende dieser Zeit begann eine andauernde Hitzewelle mit Trockenheit und starkem Wind. Seichte Feuchtstellen auf dem Acker trockneten aus. Diese Situation führte zur größten Herausforderung der Kiebitz-Familien mit Küken, die inzwischen auf 35 ha Fläche Nahrung suchten – insgesamt 36 Kiebitze. Bis dahin eine starke Truppe, die alle Angriffe von Prädatoren abwehren konnte. Wir bewunderten immer wieder ihre Verteidigungsstrategie am Himmel, wo sie gemeinsam Mäusebussarde, Schwarzmilane, Turmfalken, Möwen und Rabenkrähen mit waghalsigen Flugmanövern in die Flucht schlugen.

Verschwunden?

Doch eines Morgens waren alle Kiebitze – bis auf die beiden letzten Brutpaare – verschwunden, sogar die beiden Familien mit 2 Tage alten Küken! Die Kolonie hatte sich von einem bewässerten Gemüsefeld in 1,5 km Entfernung angezogen gefühlt - keine Distanz für die Erwachsenen mit den 3 flüggen Jungvögeln. Auf dem Fußweg kamen zwei Familien mit 3 halberwachsenen Jungvögeln bis zu einem Kartoffelacker, wo sie vor einer viel befahrenen Landstraße hängen blieben. Diese 3 Jungvögel wurden wahrscheinlich flügge. Alle anderen Küken waren auf dem Weg durch Kornfelder verloren gegangen – ein plötzlicher Verlust von 10 Küken!

Die zurück gebliebenen beiden Brutpaare brüteten 6 Eier aus. Ein angesprochener Landwirt auf der benachbarten Fläche verstand die Notlage und bewässerte seine Fläche trotz des starken Windes frühzeitig für die frisch geschlüpften Küken. Leider waren die verbliebenen 4 Kiebitze nicht in der Lage, ihre Küken vor größeren Gruppen von Rabenkrähen und Möwen zu schützen. Dies führte zu einem weiteren Verlust von 6 Küken.

Bilanz 2023:

Die Bilanz der einzigen Willicher Kiebitz-Kolonie sieht in 2023 folgendermaßen aus: 10 Brutpaare legten insgesamt 40 Eier. Es gab keine Gelegeverluste durch Prädatoren - nur einen Brutabbruch, da ein Weibchen getötet wurde. 34 Küken schlüpften. Davon wurden drei Jungvögel mit Sicherheit flügge und eventuell drei weitere, was einen Bruterfolg von 0,3 bis 0,6 bedeutet (er sollte zum Bestandserhalt mindestens 0,8 betragen).

Der Gelegeschutz hatte zu 100% funktioniert, der Schutz der Küken bis zur Abwanderung der Kolonie auch, aber letztendlich hatte der Klimawandel seinen Tribut in der Kolonie gefordert.

Die Fläche mit Gründüngung hatte auch Hasen sowie einigen Vogelarten als Schutz und Nahrungsquelle gedient und war wertvoll für Feldlerchen, Schafstelzen, Bachstelzen, Rauch- und Mehlschwalben, Stare wie auch kurzzeitig Steinschmätzer.

Wir haben viel über Kiebitze und Landwirtschaft dazugelernt. Dieses Wissen wollen wir nutzen, um im Austausch mit den verschiedenen Akteuren die Situation der Kiebitze zur Brut- und Aufzuchtzeit schon im nächsten Jahr zu verbessern und vor allem den Kiebitz als Brutvogel in der Stadt Willich nicht zu verlieren!  2002 wurden 98 Brutpaare weiträumig verteilt auf dem Willicher Stadtgebiet kartiert, 2022 beobachteten wir 7 Brutpaare in zwei Brutgebieten und 2023 nur noch ein Brutgebiet mit 10 Brutpaaren. Weder 2022 noch 2023 gab es einen bestandserhaltenden Bruterfolg.

Diese Entwicklung zeigt, dass alle Bemühungen zum Schutz in der Landwirtschaft zeitintensiv und nicht ausreichend sind. Kiebitze sind Wiesenbrüter. Deshalb wählten sie das diesjährige Brutgebiet aus – eine mit Gras bewachsene Fläche, die dann nach Beginn der Brutzeit intensiv landwirtschaftlich bearbeitet wurde.

Dringend nötig wäre daher eine größere, gehölzfreie Fläche, die dauerhaft als Brutgebiet zur Verfügung stehen würde, und die idealerweise in der Nähe bisheriger Brut- und Nahrungsflächen liegt. Dort sollte es Feuchtstellen geben, und während der Brut- und Aufzuchtzeit keine landwirtschaftliche Bearbeitung stattfinden. Eine solche Fläche würde auch anderen selten werdenden Wiesenbrütern ein Habitat bieten. Wir wünschen uns, noch lange Kiebitz-Rufe in Willich hören zu können.

Gaby & Jorgen Pedersen
NABU-Gruppe Willich